Unter dem Motto „To a Wider Morrow” (Zu einem größeren Morgen), einem Zitat aus der Hymne der englischen Frauenbewegung von 1910, gab es im Domchorsaal in der Reihe „Frauenstimmen“ ein Konzert
mit Werken von Komponistinnen der Spätromantik. Ein gelungenes Plädoyer für wertvolle Musik, die lange unter den Teppich gekehrt wurde.
Nicht nur, dass es Musik von Frauen ist. Es ist auch „tonale Moderne“, der alle vier Künstlerinnen verpflichtet waren - und die hatte es nach 1945 sehr schwer. Es wird Zeit, diese
Schätze des 21. Jahrhunderts zu heben, seien sie nun von weiblichen oder männlichen Händen geschrieben. Die Salzburger „Maria Anna Mozart Gesellschaft“ nimmt sich komponierender Frauen aus allen
Zeiten an. Das Engagement der Musikwissenschaftlerin Eva Neumayr, die auch kompetent durch den Abend führte, und ihrer Mitstreiterinnen ist aller Bewunderung wert.
Im Zyklus „Frauenstimmen“ erklingen immer wieder starke Stücke, werden immer wieder erhellende Blicke in die Vergangenheit geworfen. Die Besetzung war diesmal mit der Geigerin Annelie Gahl, der
Pianistin Ariane Haering, der Sopranistin Aleksandra Zamojska und dem Hornisten Johannes Hinterholzer hochkarätig, Das Publikum erschien in erfreulicher Menge und war, wie jedes Konzertpublikum,
aus allen Geschlechtern zusammen gesetzt.
Gleich zu Beginn erfreute eine unterhaltsame Hornsonate der Belgierin Jeanne Vignery, die 61jährig im Jahr 1974 das Opfer eines Zugunglücks wurde. Diese Sonate op. 7 ist offenbar ihr einziges
greifbares Werk. Ihre Lehrerin Nadja Boulanger und die Nähe zum französischen Neoklassizismus kann sie nicht verleugnen, doch vor allem im Finalsatz findet sie zu eigenwilliger, geradezu
swingender, mitreißender Rhythmik.
Florence Price (1887-1953) war die afroamerikanische Pionierin in der symphonischen Musik. Die von Ariane Haering beherzt und virtuos gespielte „Fantasie nègre“, wohl das erste von vier Stücken
dieses Namens, berührt durch die liebevoll-pathetische Aneignung von Spiritual-Motiven. Häufiger zu hören ist Musik der englischen Feministin Ethel Smyth, die als phantasievolle und fruchtbare
Komponistin ganz den romantischen Traditionen ihrer Heimat verpflichtet war. Von der legendären Autorin der Frauenhymne war ein stimmungsvoller Satz, „Elegy in memoriam“, aus einem 1928
entstandenen Konzert für Violine, Horn und Orchester zu hören, in der originalen Klavierfassung. Kein Wunder, dass sich Dirigenten wie Sir Thomas Beecham für das Oeuvre der Smyth einsetzten. Die
balsamischen Horntöne Johannes Hinterholzers verbanden sich wundersam mit dem akzentuierten Spiel der Partnerinnen.
Eine bedeutende Komponistin am Niveau eines Zemlinsky oder Korngold war die Altösterreicherin Dora Pejačević, aus kroatischem Uradel stammend. 2014 hat der Mattseer Diabelli Sommer ihrer
Kammermusik einen Schwerpunkt gewidmet. Es wäre hoch an der Zeit, ihre Symphonie und ihr Klavierkonzert in Salzburg zu spielen. Alle wesentlichen Werke der originellen Spätromantikerin sind auf
CD zu haben. Ein spätes Streichquartett der 1923 mit erst 38 Jahren im Kindbett verstorbenen Musikerin deutet übrigens eine Wandlung zu „Neuer Sachlichkeit“ an. Diesmal musizierten Annelie Gahl
und Ariane Haering mit Inbrunst und Brillanz die herrlich süffige, melodiöse erste Violinsonate op. 26. Die hervorragende Geigerin und in „Wien um 1900“ verankerte Dora Pejačević war mit Karl
Kraus befreundet und schwärmte für Nietzsche. Alle ihre Lieder sind in deutscher Sprache, die nach Texten Nietzsches in kostbarer, dem Jugendstil verpflichteter Schubert-Nähe. In der
„Verwandlung“ nach Kraus kam die Geige dazu. Die „Schmetterlingslieder“ bildeten den heiteren Abschluss. Aleksandra Zamojska singt das mit großem Gefühl und leuchtenden Höhen. Viel Applaus.
Paul Kornbeck